Der ESRS E4-Standard der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) fokussiert sich speziell auf die biologische Vielfalt und Ökosysteme und stellt Unternehmen vor die Herausforderung, ihre Abhängigkeiten von Ökosystemen und deren Risiken und Chancen systematisch zu erfassen.
Die Umweltstiftung Michael Otto hat in Kooperation mit zahlreichen Partnern, u.a. dem NABU, Deloitte, PwC und vielen mehr einen umfassenden Praxisleitfaden entwickelt, der Unternehmen dabei unterstützt, diesen Anforderungen der CSRD gerecht zu werden und gleichzeitig die Natur als zentralen Wert in die strategische Unternehmensführung zu integrieren. Dieser Blog-Artikel beleuchtet den ESRS E4 Praxisleitfaden und stellt die Kernbotschaften sowie pragmatische Schritte zur Umsetzung der CSRD übersichtlich dar.
Warum Natur und Biodiversität für Unternehmen wichtig sind
Die Bedeutung der Natur und Biodiversität für wirtschaftliche Aktivitäten wird oft unterschätzt. Zahlreiche Unternehmen sind direkt oder indirekt von Ökosystemleistungen abhängig – sei es durch den Zugang zu sauberen Wasserressourcen, fruchtbare Böden oder das natürliche Klima- und Schadstoffmanagement. Der Verlust von Biodiversität und die damit verbundenen ökologischen Veränderungen stellen nicht nur die Umwelt, sondern auch Unternehmen vor erhebliche Risiken.
Beispielsweise für physische Risiken
- Naturkatastrophen und Ressourcenknappheit können Produktionsprozesse stören und zu hohen Kosten führen.
- Schädigung der Bodenfruchtbarkeit: Durch Monokulturen, Erosion und chemische Belastungen verliert der Boden seine Fruchtbarkeit, was insbesondere die Agrar- und Lebensmittelindustrie bedroht und zu höheren Kosten für Düngemittel und alternative Anbaumethoden führt.
- Schädlinge und Krankheiten: Die Zerstörung natürlicher Lebensräume kann die Verbreitung invasiver Arten und Schädlinge fördern, die Ernteerträge und Waldökosysteme beeinträchtigen und so Produktionskosten in der Landwirtschaft bzw. Forstwirtschaft sowie der davon abhängigen Industrien erhöhen.
- Zunahme von Extremwetterereignissen: Der Verlust von Wäldern und Feuchtgebieten schwächt natürliche Klimapuffer und erhöht die Häufigkeit und Intensität von Überschwemmungen, Dürren und Stürmen, was Infrastruktur und Lieferketten unterbricht.
Gleichzeitig fordern Investoren und Konsumenten zunehmend transparente und nachhaltige Praktiken, wodurch Unternehmen gezwungen sind, sich strategisch mit ihrer Verantwortung für Natur und Umwelt auseinanderzusetzen.
Kernbotschaften des ESRS E4 Praxisleitfaden
Der (European Sustainability Reporting Standard) ESRS E4 Praxisleitfaden der Umweltstiftung Michael Otto setzt klare Schwerpunkte für Unternehmen, wie sie Ökosysteme und Biodiversität als strategische Werte in ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung integrieren können. Diese Kernbotschaften helfen Unternehmen, die Anforderungen der CSRD nicht nur zu erfüllen, sondern daraus langfristige Vorteile zu ziehen:
- Berichterstattung als strategische Chance: Der Leitfaden betont, dass Berichterstattung über Biologische Vielfalt und Ökosysteme mehr als nur eine Compliance-Übung ist. Sie kann Unternehmen dabei helfen, ihre Resilienz zu stärken und neue Chancen zu identifizieren. Durch das transparente Offenlegen von naturbezogenen Risiken und Abhängigkeiten können Unternehmen das Vertrauen ihrer Stakeholder erhöhen und sich als Vorreiter im Bereich nachhaltigen Wirtschaftens positionieren.
- Frühzeitige Einbindung relevanter Stakeholder: Die effektive Umsetzung der naturbezogenen Berichterstattung und der doppelten Wesentlichkeitsanalyse erfordert die Einbindung von Stakeholdern – sowohl innerhalb des Unternehmens als auch extern. Der Leitfaden empfiehlt, Umwelt- und Nachhaltigkeitsteams, das Risikomanagement sowie externe Fachexperten frühzeitig in den Prozess einzubinden, um eine ganzheitliche Perspektive zu gewährleisten und naturbezogene Abhängigkeiten umfassend zu verstehen.
- Wesentlichkeitsanalyse als Basis für fundierte Entscheidungen: Der Leitfaden legt großen Wert auf eine präzise Wesentlichkeitsanalyse, die nicht nur auf die eigenen Standorte, sondern auch auf die gesamte Wertschöpfungskette angewendet wird. Eine solche Analyse hilft Unternehmen, die bedeutendsten naturbezogenen Risiken und Chancen zu erkennen und Maßnahmen gezielt dort anzusetzen, wo sie den größten Einfluss haben. Der ESRS E4 Praxisleitfaden betont, dass diese Analyse objektiv und auf wissenschaftlich fundierten Daten basieren sollte.
- Nutzung digitaler Tools zur Standortbewertung: Um den komplexen Anforderungen der Wesentlichkeitsanalyse gerecht zu werden, empfiehlt der Leitfaden den Einsatz spezialisierter Tools. Tools wie der WWF Risk Filter oder ENCORE bieten datenbasierte Einblicke in die lokalen Bedingungen von Standorten und können helfen, naturbezogene Risiken effizienter zu bewerten. Die Nutzung solcher Tools ermöglicht Unternehmen eine fundierte und ressourcenschonende Standortanalyse und erleichtert die kontinuierliche Anpassung an zukünftige Anforderungen.
Hinweise zu diesen und weiteren hilfreichen Tools zur Standortbewertung sind auch in unserem Wesentlichkeitsanalyse Excel Template hinterlegt und zeigen wir Ihnen in unserem praxisorientierten Workshop zur Umsetzung der Wesentlichkeitsanalyse.
Diese Kernbotschaften sollen Unternehmen ermutigen, die naturbezogene Berichterstattung nicht nur als Erfüllung gesetzlicher Anforderungen zu betrachten, sondern als strategische Chance, die Wertschöpfung ihres Geschäfts langfristig zu sichern und ihre nachhaltige Entwicklung voranzutreiben.
Pragmatische Schritte für die Wesentlichkeitsanalyse nach dem ESRS E4 Praxisleitfaden
Der Leitfaden der Umweltstiftung Michael Otto bietet eine klare Anleitung zur Umsetzung der Wesentlichkeitsanalyse im Rahmen des ESRS E4. Durch diese pragmatischen Schritte können Unternehmen eine strukturierte und fundierte Analyse ihrer Abhängigkeiten und Auswirkungen auf die Natur durchführen.
PS.Wir haben auch einen dedizierten Blog Artikel mit Details zur Durchführung der doppelten Wesentlichkeitsanalyse verfasst.
1) Vorbereitung und Definition des Umfangs
Bevor Unternehmen mit der Wesentlichkeitsanalyse beginnen, sollten sie den Umfang der wesentlichen naturbezogenen Themen definieren die für ihr Geschäft relevant sind indem man beispielsweise ein Vergleich mit Peers durchführt. Hierzu gehört relevanten Wertschöpfungsketten des Unternehmens, um die bedeutendsten Naturfaktoren zu identifizieren.
Mithilfe von Screening-Tools und Desk Research können Unternehmen Branchen- und Regionen-spezifische Naturmerkmale erkennen, wie z. B. Mean Species Abundance (MSA), Wasserknappheit oder Entwaldungsrisiken, die potenziell relevant für ihr Geschäft sind.
2) Durchführung der Wesentlichkeitsanalyse auf Standortebene
Unternehmen sollten nicht nur die eigenen Standorte, sondern auch kritische Standorte in der Wertschöpfungskette analysieren. Der ESRS E4 Praxisleitfaden empfiehlt, standardisierte Metriken wie den ökologischen Zustand der lokalen Biodiversität, die Verfügbarkeit von Ökosystemleistungen und die Anzahl geschützter Arten zu verwenden.
Tools für die Standortbewertung hinsichtlich dem ESRS E4
Der Einsatz digitaler Tools ermöglicht eine effiziente und datenbasierte Bewertung der Auswirkungen, Risiken und Chancen (IROs), ohne dass vor Ort umfassende Untersuchungen notwendig sind. Tool-Beispiele:
- ENCORE (Exploring Natural Capital Opportunities, Risks, and Exposure): Hilft Unternehmen, naturbezogene Risiken und Abhängigkeiten zu analysieren. Es zeigt auf, wie wirtschaftliche Aktivitäten und Produktionsprozesse von der Natur abhängen und sich auf sie auswirken.
- Kuyua: Bietet eine integrierte KI-Lösung zur Erfassung und Bewertung von Umweltzustand und Abhängigkeiten an eigenen Standorten sowie in der Lieferkette. Es identifiziert naturbezogene Risiken und schlägt Maßnahmen zur Förderung eines naturpositiven Unternehmensprofils vor.
- IBAT (Integrated Biodiversity Assessment Tool): Ermöglicht den Zugriff auf wichtige Informationen zur biologischen Vielfalt und identifiziert Gebiete mit hoher Biodiversität mithilfe globaler Datenbanken wie der Roten Liste der bedrohten Arten der IUCN.
- WWF Risk Filter: Dieses Online-Tool hilft Unternehmen, Risiken im Zusammenhang mit Naturzerstörung und Artensterben an den relevanten Standorten zu verstehen. Es identifiziert Risiko-Hotspots und priorisiert diese für eine gezielte Naturberichterstattung und Risikominderung durch standortbezogene Analysen.
- Copernicus: Das Copernicus-Programm der EU stellt umfassende Erdbeobachtungsdaten bereit, die Unternehmen für die Umweltüberwachung und Risikobewertung nutzen können. Mithilfe von Satellitendaten lassen sich Naturveränderungen und Umweltbedingungen, wie etwa Entwaldungsraten oder Bodenerosion, detailliert analysieren.
- IUCN (International Union for Conservation of Nature): Die IUCN bietet Informationen zur biologischen Vielfalt und listet gefährdete Arten in der Roten Liste. Unternehmen können diese Daten nutzen, um Standorte in der Nähe bedrohter Ökosysteme und Arten zu identifizieren und naturbezogene Risiken besser zu managen.
- Hochwassercheck (Die Versicherer): Der Hochwassercheck der deutschen Versicherungswirtschaft ermöglicht eine Risikobewertung von Standorten in Deutschland hinsichtlich Hochwassergefährdungen.
- Water Risk Atlas: Der Water Risk Atlas des World Resources Institute (WRI) bietet umfassende Daten zu globalen Wasserknappheiten und -risiken. Unternehmen können das Tool verwenden, um wasserbezogene Risiken in bestimmten Regionen zu identifizieren und zu bewerten, besonders wenn sie wasserintensive Produktionsprozesse betreiben.
Einige der genannten Tools sind kostenlos einsetzbar. Solche ESG-Softwarelösungen bieten eine Grundlage, um fundierte Entscheidungen zu treffen und naturbezogene Risiken standortspezifisch zu managen.
3) Stakeholder-Engagement und Validierung der Ergebnisse
Ein wesentlicher Schritt ist die Konsultation interner und externer Stakeholder, um die Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse zu überprüfen und zu ergänzen. Stakeholder wie Umwelt- und Nachhaltigkeitsteams, lokale Communitys und wissenschaftliche Experten können wertvolle Einblicke bieten, die zu einer tiefergehenden und objektiveren Bewertung beitragen, um zu bestimmen ob die IROs und somit die Themen wesentlich sind.
Die Konsultation ermöglicht es Unternehmen, potenzielle Risiken und Chancen frühzeitig zu erkennen und eine nachhaltige Strategie zu entwickeln, die auf umfassender Transparenz und Zusammenarbeit basiert.
4) Integration der Analyse in die Berichterstattung und das Risikomanagement
Die Ergebnisse der Wesentlichkeitsanalyse können mit anderen Benchmarks verglichen werden und sollten aktiv in das Risikomanagement des Unternehmens integriert werden. Dies kann die Anpassung von Lieferketten, Produktionsprozessen und Standorten umfassen, um naturbezogene Risiken zu minimieren und Chancen besser zu nutzen.
Im Rahmen der CSRD-Berichtspflichten ist es wichtig, die gewonnenen Erkenntnisse regelmäßig zu aktualisieren und in der Berichterstattung transparent zu machen. Ein wichtiger Schritt nach Umsetzung der doppelten Materialitätsprüfung ist das sogenannte Mapping der Themen zu den ESRS Datenpunkten. Die Offenlegung naturbezogener Daten und Maßnahmen stärkt das Vertrauen der Stakeholder und positioniert das Unternehmen als verantwortungsbewussten Marktakteur.
Durch diese Schritte können Unternehmen nicht nur die regulatorischen Anforderungen des ESRS E4 erfüllen, sondern auch ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber naturbezogenen Risiken stärken. Der Leitfaden zeigt, wie eine fundierte Wesentlichkeitsanalyse zur Grundlage einer langfristig nachhaltigen und naturbewussten Unternehmensstrategie wird.
Pilotprojekte: Erfahrungen aus dem ESRS E4 Praxisleitfaden
Um die praktische Umsetzung der naturbezogenen Wesentlichkeitsanalyse nach ESRS E4 zu erleichtern, beschreibt der Leitfaden der Umweltstiftung Michael Otto verschiedene Pilotprojekte und deren Ergebnisse. Diese Projekte zeigen, wie Unternehmen digitale Tools nutzen können, um naturbezogene Risiken und Abhängigkeiten systematisch zu bewerten und in ihre Unternehmensstrategie zu integrieren. Hier einige zentrale Erkenntnisse aus den Pilotprojekten:
- Pilotierung von Tools für Standortbewertungen
In den Pilotprojekten wurden Tools wie der WWF Risk Filter und ENCORE verwendet, um die naturbezogenen Risiken an den jeweiligen Unternehmensstandorten zu identifizieren und zu bewerten. Diese Tools halfen Unternehmen dabei, potenzielle Risiko-Hotspots, wie wasserknappe Regionen oder Gebiete mit hoher Biodiversität, zu lokalisieren und ihre Risiken entsprechend zu priorisieren. Unternehmen erkannten, dass diese digitalen Hilfsmittel eine wertvolle Grundlage für die naturbezogene Berichterstattung bieten, indem sie umfassende Daten zu spezifischen Standortbedingungen bereitstellen. - Einsatz des IBAT zur Erfassung von Biodiversitätsrisiken
Mehrere Unternehmen setzten das Integrated Biodiversity Assessment Tool (IBAT) ein, um Schutzgebiete und Gebiete mit bedrohter Artenvielfalt in ihrer Umgebung zu identifizieren. Das Tool ermöglichte es den Projektteilnehmern, Biodiversitätsrisiken gezielt in ihre Standortbewertungen zu integrieren und entsprechende Maßnahmen zur Risikominimierung zu entwickeln. Besonders in Produktionsstandorten, die in der Nähe ökologisch sensibler Gebiete liegen, wurde das IBAT als unverzichtbar empfunden. - Effiziente Wasser-Risikobewertung mit dem Aqueduct Water Risk Atlas
Unternehmen, die in wasserintensiven Branchen tätig sind, nutzten den Aqueduct Water Risk Atlas des World Resources Institute, um wasserbezogene Risiken wie Wasserknappheit oder Überflutungsrisiken zu analysieren. Dies ermöglichte ihnen, Regionen mit erhöhtem Wasserrisiko frühzeitig zu identifizieren und präventive Maßnahmen zu entwickeln, um Produktionsunterbrechungen zu vermeiden. - Erkenntnisse zur praktischen Anwendbarkeit
Die Pilotprojekte zeigten, dass die Kombination verschiedener CSR Tools eine umfassendere und präzisere Wesentlichkeitsanalyse ermöglicht. Unternehmen stellten fest, dass die Tools ihnen helfen, komplexe Standortdaten zu erfassen und effizienter auszuwerten, wodurch der Ressourcenaufwand für die Analyse erheblich reduziert wird. Gleichzeitig wurden jedoch auch Herausforderungen deutlich: Die Nutzung der Tools erfordert eine gewisse Daten- und Methodenkompetenz, insbesondere für die Interpretation der Ergebnisse. Einige Unternehmen entschieden sich deshalb für eine enge Zusammenarbeit mit externen Fachexperten.
Vorteile und Herausforderungen beim Einsatz von Tools für die Bewertung des ESRS E4 Standard
Vorteile
- Die Pilotprojekte zeigten, dass die Kombination verschiedener CSR Tools eine umfassendere und präzisere Wesentlichkeitsanalyse ermöglicht.
- Unternehmen stellten fest, dass die Tools ihnen helfen, komplexe Standortdaten zu erfassen und effizienter auszuwerten, wodurch der Ressourcenaufwand für die Analyse erheblich reduziert wird.
Herausforderungen
Gleichzeitig wurden jedoch auch Herausforderungen deutlich:
- Die Nutzung der Tools erfordert eine gewisse Daten- und Methodenkompetenz, insbesondere für die Interpretation der Ergebnisse. Einige Unternehmen entschieden sich deshalb für eine enge Zusammenarbeit mit externen CSRD-Experten.
- Viele der genannten Tools können zumindest bis zu einem gewissen Grad kostenlos genutzt werden. Jedoch sind auch ein paar der Softwarelösungen kostenpflichtig.
- Es gibt nicht das perfekte Tool, das Unternehmen vollständig bei der Identifikation und Bewertung der Auswirkungen, Risiken und Chancen hinsichtlich dem ESRS E4 Standard unterstützt. Jedes Tool hat seine Stärken und Schwächen. Als generelle Stütze für den gesamtem Prozess der Wesentlichkeitsanalyse könnte die Materiality Master Software interessant sein.
Zusammenfassung des ESRS E4 Praxisleitfaden
Der Leitfaden der Umweltstiftung Michael Otto bietet Unternehmen eine praxisorientierte Unterstützung zur Umsetzung der naturbezogenen Berichterstattung im Rahmen des ESRS E4-Standards. Er zeigt, dass eine umfassende Wesentlichkeitsanalyse zu Natur und Biodiversität nicht nur eine regulatorische Anforderung ist, sondern auch strategische Vorteile bringt. Unternehmen können durch gezielte Analyse ihrer Abhängigkeiten und Risiken sowohl ihre Nachhaltigkeitsstrategie stärken als auch das Vertrauen ihrer Stakeholder gewinnen.